Ursprung
und Entwicklung des Judo
Herkunft aus der Selbstverteidigung
Selbstverteidigung und Selbstverteidigungssysteme
gibt es, solange die Menschen leben und durch den Kampf Mann
gegen Mann ihre Probleme zu lösen versuchen. Systemen,
die mehr oder weniger auf die urige Kraft der in ihrer Blüte
stehenden Männer. Bei den deutschen Landsknechten des Mittelalters
und den japanischen SAMURAI der gleichen Zeit kam dazu noch
eine profunde Kenntnis der schwachen Stellen des menschlichen
Körpers.
Während die lebensnotwendige Brauchkunst
der Landsknechte mit deren Verschwinden in Vergessenheit geriet,
überlebte die Selbstverteidigungs-kunst der SAMURAI ihre
Träger und läßt noch heute ihren Einfluß
im Judo-Sport erkennen.
Der Gründer des Judo: JIGORO KANO

Es war ein Deutscher, der an der kaiserlichen
Universität unterrichtende Geheimrat Bälz aus Bietigheim,
der seine Studenten, von deren schwächlichem, blassem Ansehen
er entsetzt war, zum Studium ihrer alten Kampfkünste ermunterte.
Einer seiner Studenten, der junge JIGORO KANO, beschränkte
sich nicht darauf, die SeIbstverteidigungskunst (JU-JITSU oder
JiU-JITSU) einer Schule zu studieren, sondern versuchte, bei
mehreren Meistern zu lernen. Ihm fiel die unnötige Härte
- immer noch übte man für den Ernstfall auf dem Schlachtfeld
- und die relative Einseitigkeit der alten Schulen auf. Nach
mehreren Jahren intensiven Studiums, die ihn davon überzeugten,
daß neben den vorhandenen Werten für die körperliche
Ausbildung hier auch der Weg zu einer allumfassenden Erziehung
und Bildung gefunden sei, eröffnete er 1882 eine eigene
kleine Schule (DOJO), den KODOKAN (Ort zum Studium des Weges).
Er unterrichtete nicht mehr die simple Kunstfertigkeit der einzelnen
JU-JITSU-Schulen, sondern unterwies seine ständig wachsende
Klasse in einem
neukombinierten Zweikampfsystem, das er, weil es unter anderem
auf dem Prinzip des Nachgebens basierte und der Charakter- und
Persönlichkeitsbildung breiten Raum gab, Judo (sanfter
Weg) nannte.
Die Überlegenheit des neuen Systems und
die Persönlichkeit JIGORO KANOS, der später als Leiter
eines Lehrerseminars entscheidend dazu beitrug, daß Judo
als Fach in Schulen unterrichtet wurde, sind beide verantwortlich
für den schnellen Siegeszug des Judo in der ganzen Welt.
Entwicklung des Judo in Deutschland
In Deutschland waren es Erich Rahn, der 1905
die erste Judo-Schule in Berlin eröffnete, und Alfred Rhode,
Mitbegründer des ersten deutschen Judo-Clubs in Frankfurt
1910, die ihr Leben dem Judo-Sport widmeten und das Hauptverdienst
an der Verbreitung des Judo haben. Waren vor dem Zweiten Weltkrieg
auch einige japanische Lehrer in Deutschland, so war ihr Einfluß
doch dadurch sehr begrenzt, daß sie immer nur für
einige Tage im Jahr die lernbegierigen Deutschen versammeln
konnten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, nach einer von den
Alliierten verordneten kurzen Zwangspause, nahm Judo als Sport
einen ungeahnten Aufschwung.
Hauptberufliche Lehrer HIRANO, SUZUKI, KUROKAWA,
NAGAOKA, WATANABE, HAN HO SAN -, deren Arbeit dem Leistungssport
zugute kam, und die Eröffnung zahlreicher Judo-Schulen,
die bisher abseitsstehende Kreise mit dem Judo vertraut machten,
ließen die Zahl der deutschen JUDOKA bis 1969 auf über
90000 schnellen.
Wie sehr Judo von einer einstigen japanischen
Domäne zu einem weltweiten Sport geworden ist, läßt
sich an dem Ergebnis der Olympischen Spiele 1964 in Tokio ablesen:
Von den 16 Medaillen in vier Klassen fielen fünf an Asien,
eine an Australien, zwei an Amerika und acht an Europa,
darunter die Goldmedaille des Weltmeisters Geesink (Holland).
Was ist Judo?
Worin unterscheidet sich Judo von JU-JITSU?
Der kurze Blick auf die historische Entwicklung
hat gezeigt, daß die Wurzeln des Judo in der Selbstverteidigung,
wie sie in einem Kampf auf Leben und Tod gebraucht wird, zu
suchen sind. Eine solche Selbstverteidigung brauchte natürlich
keine Rücksicht auf den Mitmenschen zu nehmen, im Gegenteil,
gerade die Aktionen, die dem Gegner größtmöglichen
Schaden zufügten und ihn sofort kampfunfähig machten,
waren vorn Standpunkt des Kriegers aus ideal.
Es wurde schon betont, daß es keinerlei
allgemeingültige Technik gab, der Zufall bei der Wahl einer
Schule oder eines Lehrers bestimmte auch die Art der zu lernenden
Griffe.
Wenn heute jemand beschließt, Jude zu
lernen, wird er in der ganzen Welt mit dem gleichen, vielseitigen
System des KODOKAN-Judo vertraut gemacht. Nehmen auch einige
Länder ein unabhängiges System für sich in Anspruch
(Korea, Rußland), so ist doch die Ähnlichkeit zu
dem auf jeden Fall zuerst existierenden KODOKAN-Judo sehr deutlich
zu erkennen. Der methodische Aufbau des Unterrichts und die
Eliminierung aller gefährlichen und nicht in jeder Phase
zu kontrollierenden Griffe, Stöße und Tritte unterscheiden
das heutige Judo vom JU-JITSU der alten Zeit. Natürlich
kann man sich auch mit Hilfe des Judo in einer Notwehrsituation
verteidigen, aber wer nur deswegen Judo trainiert, vergeudet
seine Zeit, eine Tränengaspistole dürfte in den meisten
Fällen effektvoller sein. Das alte JU-JITSU lebt fort in
den nicht mit Sport zu verwechselnden Bemühungen von Polizei
und Spezialtruppen, auch im Kampf Mann gegen Mann überlegen
zu sein.
Die zwei Prinzipien des Judo
Zwei Grundsätze verhindern, daß
der Kampf auf der Judo-Matte in einen simplen Kräftevergleich,
bei dem einer der Gegner mehr oder weniger schwer verletzt auf
der „Strecke“ bleibt, ausartet. Jede Technik, jede Bewegung,
hat dem Prinzip von der „größtmöglichen Wirkung“
zu gehorchen. Daß dieses Prinzip, das sowohl auf die körperlichen
als auch auf die geistigen Kräfte anzuwenden ist, im Judo
jederzeit beachtet werden sollte, mag ein einfaches Beispiel
erläutern: Steht man einem körperlich stärkeren
Gegner gegenüber, so widersetzt man sich dem von ihm ausgeführten
Druck nicht, sondern zieht ihn sogar noch in die Richtung, in
die er stößt. Des erwarteten Widerstandes beraubt,
wird der Gegner überrascht nach vorne stolpern und sein
Gleichgewicht zumindest teilweise verlieren. In dieser Position
kann man nun die eigene Kraft mit dem größtmöglichen
Nutzeffekt einsetzen.
Aus diesem simplen Beispiel wird schon deutlich,
daß an diesem technischen Prinzip von der größtmöglichen
Wirkung die Gesetze des Nachgebens, des Gleichgewichtbrechens
und des rationellen Einsatzes - nur so viel Kraft verwenden,
wie gerade gebraucht wird - beteiligt sind.
Das zweite Prinzip hebt Judo über den Stand
eines bloßen Zweikampfsportes hinaus und läßt
es zum Erziehungssystem par excellence werden. Es ist das moralische
Prinzip vom „gegenseitigen Helfen und Verstehen“. Jede Judo-Übung
wird mit einem Partner und nicht gegen einen Gegner durchgeführt;
ohne Partner, ohne willige Freunde, für deren Fortschritt
man sich genauso verantwortlich fühlt wie für den
eigenen, ist Judo nicht möglich. Jedes Wissen, jeder erkannte
Fehler beim Partner muß bereitwillig mitgeteilt werden,
Lehren und Lernen, Unterordnung unter eine erfahrene Autorität
und Führen einer suchenden Gruppe, sind Tätigkeiten,
die den Menschen als soziales Wesen ansprechen und ihn zum vollwertigen
Mitglied einer freien Gesellschaft werden lassen.
Zweck und Ziel der Judo-Ausbildung
Als JIGORO KANO sein System schuf, hatte er
hauptsächlich drei Ziele im Auge:
Er wollte vor allen Dingen ein System schaffen,
das auf interessante, zu längerem Studium anregende Weise
den Körper trainiert, alle Muskeln ausbildet und die Organkraft
stärkt, kurz, den Körper in Form bringt und erhält.
Im Gegensatz zu teilweise nützlichen, aber langweiligen
Gymnastiksystemen sollte sein Judo mehr als nur ein kurzzeitiges
Fitnessprogramm sein, sondern vielmehr von Menschen jeden Alters
und Geschlechts, einmal begonnen, bis in das hohe Alter hinein
ausgeübt werden können.
Zweitens dachte er daran - man nannte ihn später
„Vater des Amateursports in Japan“ -, seinen Schülern die
Möglichkeit zu geben, in einem von strengen Regeln kontrollierten
Zweikampfsport, Wettkämpfe zu bestreiten. Seine Schüler
sollten teilhaben an der großen Sportbewegung, deren Wert
für die „glückliche Zufriedenheit des Menschen“ er
nicht oft genug zu preisen wußte.
Drittens sollte durch Judo neben einer Charakter-
und Persönlichkeitsformung die Ausbildung der geistigen
Fähigkeiten erreicht werden. Regelmäßiges Training
fördert die Entwicklung der Einbildungskraft, des logischen
Denkens und der Urteilskraft und trägt entscheidend zu
einem ausgeglichenen Persönlichkeitsbild, der Wahrung des
seelischen Gleichgewichts, bei: Diese Haltung läßt
Ernsthaftigkeit, Vorsicht und gründliches Überlegen,
die wiederum Voraussetzung für schnelles Handeln und rasche
Entschlüsse sind, zur zweiten Natur werden.
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